Grenzwert (Funktion)
In der Mathematik ist der Limes oder Grenzwert einer Funktion an einer bestimmten Stelle der Wert, dem sich die Funktion in der Umgebung der betrachteten Stelle annähert. Ein solcher Grenzwert existiert jedoch nicht in allen Fällen. Existiert der Grenzwert, so konvergiert die Funktion, andernfalls divergiert sie. Der Grenzwertbegriff wurde im 19. Jahrhundert formalisiert. Es ist eines der wichtigsten Konzepte der Analysis.
Formale Definition des Limes einer reellen Funktion
Bearbeiten![](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/eb/Limes_Definition_Vektorgrafik.svg/330px-Limes_Definition_Vektorgrafik.svg.png)
Das Symbol , gelesen „Limes f von x für x gegen p“, bezeichnet den Limes der reellen Funktion
für den Grenzübergang der Variablen
gegen
. Dabei muss
nicht unbedingt im Definitionsbereich
von
liegen, aber es muss ein Häufungspunkt von
sein. Außerdem kann
sowohl eine reelle Zahl sein als auch einer der symbolischen Werte
und
. Auch der Limes kann eine reelle Zahl oder
oder
sein (siehe auch Asymptote).
Alle diese Fälle lassen sich einheitlich mit der Definition über Folgengrenzwerte erfassen, siehe den Abschnitt unten.
Üblicher ist die Definition mit Hilfe von Umgebungen. Dann muss man vier Fälle unterscheiden, da sowohl das Argument als auch der Grenzwert endlich oder unendlich sein kann.
Argument endlich, Grenzwert endlich
Bearbeiten- Definition: Sei
eine Teilmenge von
und
ein Häufungspunkt von
. Die Funktion
hat für
den Limes
, wenn es zu jedem (noch so kleinen)
ein (im Allgemeinen von
abhängiges)
gibt, sodass für alle
-Werte aus dem Definitionsbereich
von
, die der Bedingung
genügen, auch
gilt.[1]
Qualitativ ausgedrückt bedeutet die Definition: Der Unterschied zwischen dem Funktionswert und dem Limes
wird beliebig klein, wenn man
genügend nahe bei
(aber ungleich
) wählt.
Zu beachten ist, dass es keine Rolle spielt, welchen Wert die Funktion an der Stelle
einnimmt; die Funktion braucht nicht einmal an der Stelle
definiert zu sein. Entscheidend ist lediglich das Verhalten von
in den punktierten Umgebungen von
. Manche Autoren verwenden allerdings eine Definition mit Umgebungen, die nicht punktiert sind; siehe dazu den Abschnitt „Neuerer Grenzwertbegriff“.
Im Gegensatz zur von Augustin-Louis Cauchy verwendeten Formulierung, dass sich „die Funktion dem Grenzwert annähert“, ist keine Variable, die „läuft“, sondern einfach nur ein Element einer vorgegebenen Menge. Diese heute verwendete statische
-
-Definition geht im Wesentlichen auf Karl Weierstraß zurück und stellte den Grenzwertbegriff auf ein solides mathematisches Fundament, die sogenannte Epsilontik.[2]
Beispiel:
Argument endlich, Grenzwert unendlich
Bearbeiten- Definition: Sei
eine Teilmenge von
und
ein Häufungspunkt von
. Die Funktion
hat für
den Limes
, wenn es zu jeder (noch so großen) reellen Zahl
ein (im Allgemeinen von
abhängiges)
gibt, sodass für beliebige
-Werte aus dem Definitionsbereich von
, die der Bedingung
genügen, auch
erfüllt ist.
- In diesem Falle
nennt man
für
gegen
bestimmt divergent.
Entsprechend wird der Fall des Grenzwertes definiert.
Beispiel:
Argument unendlich, Grenzwert endlich
Bearbeiten- Definition: Sei
eine Teilmenge von
und
ein Häufungspunkt von
, d. h.
ist nach oben unbeschränkt. Die Funktion
hat für
den Limes
, wenn es zu jedem (noch so kleinen)
eine (im Allgemeinen von
abhängige) reelle Zahl
gibt, sodass für beliebige
-Werte aus dem Definitionsbereich von
, die der Bedingung
genügen, auch
erfüllt ist.
- In diesem Falle
nennt man
für
gegen Unendlich konvergent.
Entsprechend lassen sich Grenzwerte des Typs definieren.
Beispiel:
Argument unendlich, Grenzwert unendlich
Bearbeiten- Definition: Sei
eine Teilmenge von
und
ein Häufungspunkt von
, d. h.
ist nach oben unbeschränkt. Die Funktion
hat für
den Limes
, wenn es zu jeder (noch so großen) reellen Zahl
eine (im Allgemeinen von
abhängige) reelle Zahl
gibt, sodass für beliebige
-Werte aus dem Definitionsbereich von
, die der Bedingung
genügen, auch
erfüllt ist.
- In diesem Falle
nennt man
für
gegen
bestimmt divergent.
Entsprechend wird der Fall des Grenzwertes und der Grenzwert für
definiert.
Beispiel:
Definition mit Hilfe von Folgen
BearbeitenDie unterschiedlichen Fälle lassen sich mit Hilfe von Folgen einheitlich behandeln.[3]
Dazu charakterisiert man zunächst den Begriff des Häufungspunktes einer Teilmenge mittels Folgen:
Ein Punkt ist ein Häufungspunkt von
genau dann, wenn es eine Folge
mit
gibt, die
erfüllt. Siehe dazu Grenzwert (Folge).
Mit dieser Eigenschaft lässt sich eine alternative Grenzwertdefinition formulieren:
- Definition: Sei
eine Funktion,
ein Häufungspunkt von
und
. Dann definiert man:
genau dann, wenn für jede Folge
mit
und
gilt:
.
Man kann zeigen, dass diese Definition äquivalent zu den oben gegebenen Definitionen ist.
Einseitige Grenzwerte
BearbeitenDefinition
BearbeitenSei eine Teilmenge von
und
ein Häufungspunkt von
. Die Funktion
hat für
den Limes
, wenn es zu jedem (noch so kleinen)
ein (im Allgemeinen von
abhängiges)
gibt, sodass für alle
-Werte aus dem Definitionsbereich
von
, die der Bedingung
genügen, auch
gilt.
- In diesem Falle
nennt man
für
von rechts gegen
konvergent.
Entsprechend werden Grenzwerte des Typs beziehungsweise für
definiert.
Beispiele
BearbeitenFunktion | rechtsseitiger Grenzwert | linksseitiger Grenzwert | beidseitiger Grenzwert |
---|---|---|---|
existiert nicht | |||
existiert nicht | |||
Notation
Bearbeitenrechtsseitiger Grenzwert | ||||||
linksseitiger Grenzwert |
Einseitiger und beidseitiger Grenzwert
BearbeitenUm Verwechslungen zu vermeiden, spricht man im Falle von mitunter auch vom beidseitigen Grenzwert. Falls
ein Häufungspunkt von
und von
ist, so gilt:[4]
existiert genau dann, wenn die beiden einseitigen Grenzwerte
und
existieren und übereinstimmen. In diesem Falle gilt die Gleichheit
.
Und genau dann, wenn im Punkt
definiert ist und
gilt, ist
an der Stelle
stetig.
Grenzwertsätze
BearbeitenSei ,
und
zwei reellwertige Funktionen, deren Grenzwerte
und
existieren, wobei
und
ein Häufungspunkt von
aus den erweiterten reellen Zahlen
ist. Dann existieren auch die folgenden Grenzwerte und lassen sich wie angegeben berechnen:
Ist zusätzlich , so existiert auch
, und es gilt
.
Gilt sowohl als auch
, so lässt sich der Grenzwertsatz nicht anwenden. In vielen Fällen kann man den Grenzwert aber mit der Regel von de L’Hospital bestimmen.
Ist und ist
, so ist auch
.
Aus und
mit
folgt
, falls
gilt (
also an der Stelle
stetig ist) oder
in einer Umgebung von
den Wert
nicht annimmt.
Beispiel:
Gesucht ist . Für
gilt:
(Nach der Regel von de L’Hospital)
Anwenden der Kettenregel mit liefert
.
Anwendung auf den Differenzenquotienten
BearbeitenDie Anwendung des Grenzwertbegriffs auf Differenzenquotienten hat sich als besonders ergiebig erwiesen. Er bildet die eigentliche Grundlage der Analysis.
Differentialquotient und DifferenzierbarkeitDifferentialquotienten (auch Ableitungen genannt) sind die Grenzwerte der Differenzenquotienten einer Funktion, also Ausdrücke der Form
mit und
. Schreibweisen sind z. B.
oder
, sofern dieser Grenzwert existiert. Mit den Eigenschaften und der Berechnung von Differentialquotienten befasst sich die Differentialrechnung.
Existiert ein Differentialquotient einer Funktion an der Stelle , dann heißt die Funktion differenzierbar an der Stelle
.[5]
Wichtige Grenzwerte
BearbeitenDer bei der Ableitung der Potenzfunktionen mit
auftretende Grenzwert lässt sich mit dem binomischen Lehrsatz berechnen:
Der bei der Ableitung der Exponentialfunktionen mit
auftretende Grenzwert benötigt die Einführung der eulerschen Zahl
und den darauf beruhenden natürlichen Logarithmus:
Die Ableitung der Winkelfunktionen führt letztlich auf den Grenzwert . Für die Berechnung dieses Grenzwerts gibt es unterschiedliche Zugänge, je nachdem, wie die Winkelfunktionen und die Zahl Pi analytisch definiert werden.[6] Misst man den Winkel im Bogenmaß, so erhält man
Neuerer Grenzwertbegriff
BearbeitenIn jüngerer Zeit wird auch eine Variante des Grenzwertbegriffs verwendet, der mit Umgebungen arbeitet, die nicht punktiert sind. Unter Verwendung von Folgen definiert diese Variante den Grenzwert folgendermaßen:Sei eine Funktion,
ein Element der abgeschlossenen Hülle
und
. Dann definiert man:
genau dann, wenn für jede Folge
mit
und
gilt:
.[7][8]
Der Unterschied zur oben gegebenen punktierten Variante besteht erstens darin, dass jetzt nicht mehr verboten ist, falls
. Zweitens ist dadurch eine Definition auf allen Punkten in der abgeschlossene Hülle
möglich, insbesondere also auch auf isolierten Punkten von
.
Eine äquivalente nichtpunktierte -
-Definition des Grenzwerts lässt sich ebenfalls leicht angeben: In der oben gegebenen
-
-Definition braucht nur
durch
ersetzt zu werden, also ebenfalls der Fall
ausdrücklich erlaubt zu werden.
Die nichtpunktierte Version ist nicht äquivalent zur punktierten Version. Sie unterscheidet sich insbesondere an Unstetigkeitsstellen:
In der punktierten Version ist stetig in
genau dann, wenn der Grenzwert von
für
existiert und
gilt oder wenn
ein isolierter Punkt ist.[9] In der nichtpunktierten Version hingegen reicht es für Stetigkeit, die Existenz des Grenzwerts zu fordern, die Gleichung
ist damit automatisch erfüllt.[10]
Beispiel:
Diese Funktion ist nicht stetig. Der Grenzwert im nichtpunktierten Sinn existiert nicht. Der Grenzwert im punktierten Sinn existiert allerdings: , da ausdrücklich
verlangt wird und für diese Werte
gilt. Offensichtlich ist allerdings
.
Zur Vermeidung von Missverständnissen empfehlen die Vertreter der nichtpunktierten Variante daher, den punktierten Grenzwert von für
folgendermaßen zu bezeichnen:[11]
Die Vertreter der neueren Variante sehen den Vorteil ihrer Variante gegenüber der klassischen punktierten Variante von Weierstraß darin, dass sich Grenzwertsätze mit der neueren Variante leichter formulieren lassen, weil die Sonderfälle, die sich durch die Punktierung ergeben, nicht mehr berücksichtigt werden müssen.[12]
Grenzwert einer Funktion bezüglich eines Filters
BearbeitenSowohl der klassische Grenzwertbegriff von Weierstraß als auch der neuere Grenzwertbegriff lassen sich als Spezialfälle des allgemeinen Grenzwertbegriffs einer Funktion bezüglich eines Filters auffassen:
Sei eine Funktion von
nach
, wobei
mit einer Topologie versehen ist, und
ein Filter auf
. Ein Punkt
heißt Grenzwert der Funktion
bezüglich des Filters
, wenn der von der Filterbasis
erzeugte Filter gegen
konvergiert, also wenn der von der Filterbasis
erzeugte Filter feiner ist als der Umgebungsfilter von
.[13]
Die neuere Definition für den Grenzwert einer Funktion im Punkt entspricht nun dem Spezialfall, dass
als der Umgebungsfilter von
gewählt wird;[14] die klassische Definition von Weierstraß entspricht dem Spezialfall, dass
als der von den punktierten Umgebungen von
erzeugte Filter gewählt wird.[15]
Siehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-12231-6. Definition 38.1.
- ↑ Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 2. 5. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-42222-0. Kapitel 245 Die neue Strenge. S. 697.
- ↑ Daniel Grieser: Analysis I. Springer 2015, ISBN 978-3-658-05946-0. Kapitel 11.1.
- ↑ Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-12231-6. Satz 39.1.
- ↑ Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-12231-6. Definition 46.1.
- ↑ Wikibooks: Beweisarchiv: Analysis: Differentialrechnung: Differentiation der Sinusfunktion
- ↑ H. Amann, J. Escher: Analysis I. Birkhäuser, Basel 1998, ISBN 3-7643-5974-9. S. 255.
- ↑ G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1. Wintersemester 2000–2001. Definition 2.3.27.
- ↑ Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-12231-6. Satz 38.2.
- ↑ G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1. Wintersemester 2000–2001. Bemerkung 2.3.28, Punkt 1.
- ↑ G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1. Wintersemester 2000–2001 Definition 2.3.2, Bemerkung 3.
- ↑ G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1. Wintersemester 2000–2001. Bemerkung 2.3.28 Punkt 5.
- ↑ N. Bourbaki: Éléments de mathématique. Topologie Générale. Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, § 7, Définition 3.
- ↑ N. Bourbaki: Éléments de mathématique. Topologie Générale. Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, § 7.4.
- ↑ N. Bourbaki: Éléments de mathématique. Topologie Générale. Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, § 7.5.
Weblinks
Bearbeiten- Eric W. Weisstein: Limit. In: MathWorld (englisch).
- Eric W. Weisstein: Epsilon-Delta Definition. In: MathWorld (englisch).